…oder aber: Nachbarschaftshilfe "à la française".
Seit Tagen kleben wir an der Wettervorhersage auf dem französischen Sender TF1.
Gestern Morgen allerdings war klar: nicht nur das Wetter, sondern auch der Verkehr - und somit auch mein Alltag, dem Universum sei Dank! - normalisieren sich wieder. Von weiteren Schneefällen bleiben wir vorerst verschont und ich beschließe, dass ich es riskieren kann, Sohnemann, nach fast einer Woche forcierten, zusätzlichen Ferien, wieder in die Schule zu bringen.
Die Hessin in mir sagt sich: „Ma waas ja net, was so kommt“ und unbeirrt von den sich lustig machenden Kommentaren meines Fünfzehnjährigen - c'est la honte maman! - ziehe ich meine neuen super-duper Gummistiefel an. So gerüstet, mollig warm in meiner Winterjacke, inklusive Schal und Mütze, gondeln wir vor- und umsichtig, um viertel nach sieben, die noch weiß verschneiten und wenig befahrenen Hinterwäldler-Straßen Richtung Stadt herunter. Als umsichtige Verkehrsteilnehmerin mit Sauberfrau-Image, machte ich auf gerader Strecke einen Bremstest und bin beglückt, dass mein Auto, ohne zu sehr zu rutschen, fast augenblicklich zum Stehen kommt. Fröhlich vor mich hin summend, setze ich Sohnemann vor der Schule ab, um dann den gleichen Hinterwäldler- Weg wieder zurück nach Hause zu fahren.
Kaum bin ich aus dem Tal heraus auf der kleinen Landstraße die zu meinem Dorf führt - ich wiege mich auf der scheinbar einsamen verlassenen Straße in absoluter Sicherheit - als mich das Unheil in Form eines entgegenkommenden Autos ereilt. Ich begreife schlagartig, welch deftigen Denkfehler ich begangen habe.
Es ist unter normalen Umständen schon schwierig, zwei, sich in gegensätzliche Richtung befindende Autos, ohne Schaden aneinander vorbei zu manövrieren, aber mit hartgefrorenem, fünfzig Zentimeter hohem Schnee auf beiden Seiten, wird es gänzlich unmöglich.
Wir versuchen es trotzdem…und scheitern kläglich.
Ich steige aus meinem Auto, klopfe an die Windschutzscheibe des R5, dessen Fahrer ich als unseren Nachbarsohn erkenne.
Er steigt aus, begutachtet die Situation und sagt: "Ich rufe meine Mutter an".
Das erscheint mir gänzlich unsinnig und sage ihm das auch.
Auf beiden Seiten unserer unfreiwilligen Blockade stauen sich mittlerweile immer mehr Fahrzeuge . Wie hätte R5 Mama da bitte helfen sollen? Und wo kamen plötzlich die vielen Autos her?
Eine Frau steigt aus und hält mir eine Schaufel entgegen. Wie ungemein praktisch, denke ich, und bedanke mich artig. Ich will gerade tatkräftig das Auto frei schaufeln, als ein kleiner Geländewagen der russischen Ausgabe, auf dem angrenzenden Feld an uns vorbei prescht.
Erst bin ich irritiert, denke ich doch, es sei einer von der ungeduldigen Sorte, der uns locker flockig in unserem Unglück sitzen lassen würde.
Aber nein!
Schnell stellt sich heraus, dass er uns zu Hilfe eilen will.
Allerdings mit fatalen Folgen.
Trotz oder vielleicht auch gerade wegen des schneidigen Fahrstils, fliegt der Russe förmlich über das tief verschneite Feld. Als er dann aber versucht wieder auf die Straße zu hüpfen, hüpft er prompt auf den aufgetürmten Schnee am Straßenrand.
Jetzt haben wir drei festsitzende Autos!
„Ich ruf jetzt meine Mutter an“ verkündet der Nachbarsohn mit Nachdruck.
Der "Russ"e steigt aus und begrüßt gut gelaunt all die anderen, mittlerweile herumstehenden Autofahrer mit Handschlag.
Es gleicht einem Happening.
Aus den jeweiligen Kommentaren erschließe ich, dass die Blockade nicht zum ersten Mal passierte und ich nur ganz zufällig heute dafür verantwortlich bin. Nach den üblichen Begrüßungsküsschen links und rechts und dem sich freundschaftlich auf die Schulter klopfen, wird fröhlich diskutiert wie man jetzt wen, wann, und wie am besten, aus dem Schlamassel befreien könnte.
Die Einführung in die französische Mentalität eines Freundes, seines Zeichens selbst Franzose, vor vielen, vielen Jahren, schießt mir durch den Kopf.
Es bezieht sich zwar eigentlich auf Mahlzeiten, aber im Laufe der Jahre habe ich festgestellt, dass sich dieser Grundsatz auf alle Lebensbereiche anwenden lässt:
Der Franzose braucht 6 Stunden zum Essen:
Zwei, um zu diskutieren was er isst.
Zwei, um zu essen.
Und wieder zwei, um zu diskutieren was er gegessen hat.
Nun, um eines gleich vorweg zu nehmen: wir brauchten keine sechs Stunden, um uns aus dem Schlammassel zu befreien.
Aber!
Die Formel stimmt:
Es wird erst fröhlich diskutiert. Das Für und Wider genauesten abgewogen.
Dann werden die festsitzenden Autos mit viel Schieben, Ziehen und Lachen aus der Schneebremse befreit.
Wieder heil auf der schneefreien, großen Landstraße, steigen alle erneut aus, klopfen sich auf die Schulter, küssen sich rechts und links auf die Wange und beglückwünschen sich großzügig, mit welcher Bravour man diese Krise gemeistert hatte.
Dann verschwinden alle laut und fröhlich hupend in die restliche Nacht.
Kaum daheim, beglückwünsche ich mich, dass ich dank meiner Gummistiefel trockenen Fußes und dank meiner netten französischen Nachbarn wieder heil zu hause angekommen bin.
1 Kommentar:
Sehr amüsant - und liebe Pia - stell Dir diese Situation mal in unserem Deutschland vor. Da wäre man aus einem bösartigen nervigen Gehupe mit Gemeckere, Beschimpfungen etc. nicht hinaus gekommen. Peinlich mit hochrotem Kopf wäre man in seinem Auto verschwunden (oder aus Wut).
hach, sehr amüsant.
lg Tanja
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