Sonntag, 18. Dezember 2011

Countdown zum obligatorischen Weihnachts-Familienstreit

Warum streiten sich Familien ausgerechnet an Weihnachten ?
Sind Weihnachten und Familie inkompatible Systeme, die sich gegenseitig mit Bugs das Leben zur Hölle machen?
Ist Weihnachten zur „Scripted Reality“ geworden? Also zur Realität nach Drehbuch wie man das in der Fernsehsprache nennt, und die Erwartungen an das Fest der Liebe einfach unerfüllbar hoch gegriffen?

Seit Wochen bombardieren uns Werbung und Kaufhäuser mit heiler Familienwelt, selbstverständlich erkauft mit vielen, vielen teuren Geschenken.
Unsere Wohnungen und Häuser werden mit neuer trendiger, platziert neben der alten, von Oma geerbten Weihnachtsdeko voll gestopft und in den Gärten fressen sich grün-rot-permanent blinkende Lichterketten genüsslich ein dickes Loch in die Stromabrechnung.
Die Städte machen die Nacht zum Tage mit blau weiß funkelnden, von Straße zu Straße gespannten Lichtgirlanden, die das Kind in uns ansprechen und die Sehnsucht nach der Höhle von Ali Baba unter dem  Weihnachtsbaum erwecken sollen.

Doch auch wenn es so aussieht, als könnten wir gar nicht mehr anders, als uns dem massiven Druck zu beugen .... nur um im Anschluss, völlig erschöpft und leicht angewidert von dem Festtags-Marathon, der uns von den Medien als  Friede-Freude-gigantischer Eierkuchen verkauft wird, herzlich froh zu sein, dass der ganze Spuk am 27. (hier in Frankreich am 26.) endlich vorbei ist ...., ist das, was wir als Weihnachtstress bezeichnen (Geschenke-Wahnsinn, überfüllte Städte und Parkhäuser) nur Äußerlichkeiten und nicht der Auslöser für den allseits beliebten Familienzoff.

'Ich will an Weihnachten nicht mehr in fremden Betten schlafen!' sagt meine BF und drückt damit die Sehnsucht nach der Ruhe und Besinnlichkeit aus, die sie nicht dazu verurteilt, hunderte von Kilometer auf überfüllten Autobahnen in entgegengesetzten Richtungen zurückzulegen, nur damit man verschwiegerte Familien glücklich macht.

Und genau da liegt meines Erachtens die Krux des ganzen Weihnachtsgedöns (O Ton BF).
Nicht Weihnachten und sein Trubel sind das Problem, sondern die Alltäglichkeit unserer Familien.
Definition Alltäglichkeit im Duden: durch nichts Außergewöhnliches gekennzeichnete, übliche, immer wiederkehrende Erscheinung.

Zum Stress des Geschenke kaufens ... habt Ihr gewusst, dass Geschenke kaufen Glückshormone ausschüttet? Theoretisch dürfte man folglich nicht von Stress reden! ...Tannenbaum schmücken, Essen vorbereiten, schleicht sich die Angst vor der tristen Monotonie der jahrelang eingeübten Familiendynamik, auf leise Pfoten in unsere Herzen. Denn eben jene Familie soll jetzt bitteschön, für drei Tage, Oh-Du-Fröhliche, nicht mehr "Alltäglich" sein, sondern muss von jetzt auf Nachher den hohen Ansprüchen der, uns von den Medien eingehämmerten, heilen Welt gerecht werden.

Es ist nicht der hohe Anspruch des perfekten Weihnachten mit Gänsebraten und Rotkraut den wir nicht erfüllen können, sondern wir erliegen dem  Irrglauben auf Knopfdruck bitteschön eine perfekte Familie unter dem Christbaum mit geliefert zu bekommen.
Und da wir wissen, dass es das nicht gibt, wird unsere Angst vor dem obligatorischen Hickhack von Jahr zu Jahr größer.
Unsere latent negative Erwartungshaltung, doch bitte, bitte dieses Jahr, alles in Friedlich und ohne Stress begehen zu können, wird  im Umkehrschluss zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung und es tritt genau das ein was wir am meisten befürchten: Familienstreit.

Ich freue mich dieses Jahr auf Weihnachten wie ein kleines Kind!
Das war nicht immer so.
Auch bei uns gab es Weihnachten, bei denen ich mich am liebsten auf eine ferne Südseeinsel gebeamt und den Schottengatten mit unseren drei kleinen Kindern, inklusive umfangreichen Zoo, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken zurück gelassen hätte.
Wie verzweifelt ich manchmal war, könnt Ihr hier lesen: Weihnachtschaos 

Aber die Kinder sind groß und ich habe gelernt meine verrückte, chaotische, laute, sich streitende, unordentliche, sich am Essenstisch üble Witze erzählende Familie so zu akzeptieren wie sie ist.
Nur weil Weihnachten ist, mutiert sie nicht plötzlich zur Familie Mustermann.
Ich wurde mir bewusst, dass ich wie Don Quichotte gegen Windräder ankämpfte, in dem ich versuchte alles perfekt gestalten zu wollen. Ich beschloss massive Umstrukturierungen einzuführen.
Ich hasse kochen und so gab ich im wahrsten Sinn des Wortes den Löffel an den Rest der Familie ab.

Als ich meine "neue " Akzeptanz- und Umstrukturierungs-Strategie das erste Mal 2010 in die Tat umsetzte, passierte etwas Außergewöhnliches.
Wir hatten ein friedliches und sehr beschauliches Weihnachten.
Ich stellte mit Überraschung fest, dass ich diejenige war, die mit ihrer falschen Vorstellung vom perfekten Weihnachten, der Familiendynamik den fatalen Anstoß gab und sie über den Abgrund in die Zwistigkeiten stürzte.

Nun bin ich seit Anfang des Jahres Großmutter und unsere verrückte Familie um ein weiteres Mitglied gewachsen.
Mein beschauliches und "ruhiges"Weihnachten wird ergo in einem riesengrossen Trubel ertrinken.
Aber das ist nicht schlimm.
Denn ich weiß, bei all dem, dass meine Familie nicht perfekt ist und nicht selig lächelnd unter dem Tannenbaum Weihnachtslieder singt, sondern sich, tobend, laut lachend, rüde anpöbelnd, manchmal motzend, in einem unter Geschenkpapier erstickenden Wohnzimmer wieder findet ...
... wenn es darauf ankommt hält meine Familie wie Pech und Schwefel zusammen und wir sind alle für einander da.
Un pour tous et tous pour Un - Einer für alle und alle für Einen (Die drei Musketiere - Alexandre Dumas)
Und das ist das was zählt.


Ich wünsche Euch allen Ein wunderschönes, nicht perfektes Weihnachtsfest und einen Guten Rutsch ins Neue Jahr!
Pia

7 Kommentare:

Maren hat gesagt…

Liebe Pia, das hast Du sehr schön gesagt. Bei uns findet Weihnachten schon seit Jahren weitestgehend im Schlafanzug statt. Und alle sind glücklich. Bei uns ist es einfach vor allem eins: Familienzeit, ohne Stress und Besuchsmarathon.

Anonym hat gesagt…

liebe Pia
ich bin ganz Deiner Meinung. Zum Glück haben wir keine Verwandtschaft in unmittelbarer Nähe, meine Mama wohnt in Stuttgart(also 800km von hier) und Schwiegermama in Annecy - und so sind meine Kinder froh, dem französchen Fressgelage zu entkommen und wir feiern zu viert schön gemütlich Weihnachten, mit einem kleinen Abendessen und Weihnachtskeksen... also frohe turbulte Weihnachten wunscht Dir gaby

Anonym hat gesagt…

Ich liebe Deine Art zu schreiben! Wieder einmal hast Du mit glasklarem analytischen Verstand gemixt mit einer Prise Humor den Nagel auf den Kopf getroffen!
Dir auch tolle Festtage

Anonym hat gesagt…

Danke liebe Pia
ich habe mal wieder eine schöne Viertelstunde auf Deinem Blog verbracht und mich sehr amüsiert. Ich hoffe, Du wirst noch lange weiterschreiben!
In diesem Sinne ein entspanntes Weihnachten, wir werden das in Hamburg haben (Eltern kochen!) und viel Spass mit Deiner Familie.
In der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen mit einem langen Schwatz…

liebe Grüsse
C.

Gretel hat gesagt…

Danke!!
Gerade bei mir ist die Warnung vor überzogenen Erwartungen sehr nützlich!
...
Will also nach Deinen guten Ratschlägen und klugen Analysen bewusst
versuchen, mich in den nächsten Tagen "runterzufahren"...
LG

Bille hat gesagt…

Ein schönes Wort zum Dienstag, dankeschön!

Maria hat gesagt…

Da die Weihnachtsfeierlichkeiten nun vorbei sind, hoffe ich, Ihr hattet schöne Tage und ich wünsche Dir und Deiner Familie viel Glück und Gesundheit für das neue Jahr! :-D
LG Maria

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