Donnerstag, 26. Januar 2012

Einfach nur ohne Ende: Französische Familienfeiern

Der normannische Franzose ist traditionsbewusst.
Familienfeste sind ihm heilig.
Onkel, Tante, Cousin und Cousine, Oma, Opa, Urgroßmutter und Freunde sind oft fester Bestandteil dieser Zusammenkommen, und auch die Schwiegerfamilien der einzelnen Familienmitglieder sind nicht selten mit von der Partie.
Man feiert gerne, oft und ausgiebig.
Der Tisch und das Essen spielen dabei die zentrale Rolle.
Für uns Nichtfranzosen bedeutet das im Klartext:
man braucht Ausdauer, Geduld und eine gehörige Portion Sitzfleisch, um so eine Festivität einigermaßen heil zu überstehen.
Vor einigen Jahren wurde der Schottengatte, ich und die Kinder zur Kommunion unseres Nachbarkindes eingeladen, und das was man sonst nur in den Klatschmedien bei den sogenannten Prommis zu lesen bekommt, ereignete sich hier, in unserem kleinen, verträumten Dorf, mitten in der hintersten Normandie, in einem der berühmt-berüchtigten und von den Franzosen allseits beliebten Salle de Fête, riesig große, karg und funktionell eingerichtete Gemeindezentren:
Es wurde gefeiert und gegessen und gefeiert und gegessen!
Drei Tage lang!
Am ersten Abend begann die eigentliche Veranstaltung so gegen 19 Uhr.
Zeit für den Aperitif!
Der ist den Franzosen heilig.
Ohne Appetitsanreger geht gar nichts und es ist durchaus üblich, nur zum Apéro eingeladen zu werden. Man trinkt dann ein bis zwei bis drei Pernots, isst sich satt an den Knabbereien und geht dann wieder nach Hause. Um dort weiter zu essen.
Manchmal ist die Stimmung aber auch so feuchtfröhlich, dass der Hausherr kurzerhand beschließt, den Apéro auszudehnen und dann wird das Abendessen irgendwie gestreckt damit es für alle reicht.
Aber zurück zur Kommunion vom Nachbarkind.
Der Apéro war, wie gesagt, ab 19 Uhr.
Bis alle Gäste eintrudelten, jeder jeden mit zwei, drei oder vier Wangenküsschen, je nach Herkunft, begrüsst hatte, den neuesten Tratsch, Klatsch und Skandal ausgetauscht hatte, gab es die Vorspeise.  Das war so gegen Mitternacht.
Das eigentliche Essen wurde um zwei Uhr morgens gereicht, die Käseplatte um halb vier und der Nachtisch irgendwann morgens um fünf.
Die alte Formel, der Franzose braucht 6 Stunden zum essen: 2 zum diskutieren was er zu essen bekommt, 2 zum diskutieren was er isst und 2 zum diskutieren was er gegessen hat, bewahrheitete sich an diesem Tag, bzw. mitten in der Nacht, in seiner reinsten Form.
Am nächsten Tag, nach nur sehr wenig geschlafenen Stunden im heimischen Bett, versammelten sich dann wieder alle so gegen 14h, um die Reste vom Vorabend zu essen.
Da es Sonntag war - und man ja sonst nichts Besseres zu tun hatte - dauerte auch das wieder seinen üblichen 6 Stunden Rhythmus.
Am dritten Tag, einem Montagmorgen, wurde dann aufgeräumt, und da arbeiten bekanntlich Hunger macht, musste man dann doch schnell noch was essen und warf die Reste der Reste zusammen und setzte sich, der Leser ahnt es schon, wieder an den Tisch.
Ich erinnere mich, als wir am frühen Nachmittag völlig erschöpft nach Hause fuhren, dem Schottengatten mit aller Inbrunst geschworen zu haben - nie wieder auch nur einen einzigen Happen zu essen, denn ich begriff zum ersten Mal in meinem Leben, was die Franzosen meinen, wenn sie von einer crise de foie sprechen.
Die crise de foie - oder auch Leber-Krise - ist eine völlig imaginäre Krankheit, die es nur in Frankreich gibt, bei der man sich allerdings hundsmiserabel fühlt und schlicht und ergreifend auf das Zuviel von  Alkohol, Stopfleberpastete, sahnig cremige Schokoladentorten, trou normand ( Eis mit Calvados) und normannischen Käse zurückzuführen ist.

Somit ist es leicht verständlich, dass ich, als wir letzten Sonntag von der Schwiegermutter von Kleiner Tochter zum Mittagessen eingeladen wurden, um den 1-jährigen Geburtstag des gemeinsamen Enkelkindes zu feiern, ich, nach all den Weihnachts- und Silvesterfeiern, nicht wirklich begeistert war.
Denn auch hier bewährte sich die 6 Stunden-Formel aufs Allerfeinste.
Der Apéro, Whiskey und Martini, erstreckte sich, mit Begrüßung aller, erwartungsgemäß bis auf nachmittags halb drei. Die Vorspeise mit Weißwein und den eigentlichen Hauptgang begleitet von Beaujolais, gab es in überraschend schneller Folge so gegen vier. Als ich um fünf die Käseplatte, inklusive eines dunkelrot leuchtenden, schweren Bordeaux, dankend mit einem höflichen Non Merci ablehnte, schaute man mich leicht verwundert an.
Die merkwürdigen Deutschen eben!
Meine Begründung, dass ich es dann doch etwas zu spät für Käse finde, wurde mit einem toleranten, unverständlichen Kopfschütteln akzeptiert.
Nach dem Nachtisch, Sahnetorte mit Champagner, 18Uhr,  fragte der Schwiegervater fröhlich und mit sich erwartungsvoll reibenden Händen, was es denn zum Abendessen gäbe.
Erschrocken griff ich nach meiner Handtasche und trieb, mit einem völlig erschöpften Mondscheinbaby auf dem Arm, panikartig zum Aufbruch.
Auf der Rückfahrt in unseres, etwa eine Stunde entfernte normannische Dorf, schliefen die jungen Leute abgekämpft auf der Rückbank und auf dem Beifahrersitz.
Und mit tat der Popo weh!
Und ich war heilfroh, dass ich mich bereit erklärt hatte, das Autofahren zu übernehem und somit eine grandiose Ausrede hatte, um dem Alkohol abstinent zu bleiben.
Denn somit blieb mir die berühmt berüchtigte crise de foie erspart.

5 Kommentare:

Gretel hat gesagt…

Nagel auf den Kopf!!! Toll!

Anonym hat gesagt…

Oh mein Gott! Das ist ja der absolute Wahnsinn! ;-)

gaby michaille hat gesagt…

wie elena schon sagte, genau den Nagel auf den Kopf getroffen -da wir keine direkte Familie in einem Umkreis von 200km haben, brauchen wir dies nicht über uns ergehen zu lassen - und meine Tochter sagte kürzlich nach einem solchen Mittagessen bei der Grossmutter ihres Freundes :"ein Gluck dass die Michailles alle so weit weg wohnen....

Stempelperle hat gesagt…

Liebe Pia,

danke für den umfassenden Bericht. Nun habe ich eine - wahrscheinlich vage - Vorstellung von einem gemütlichen und zwanglosen Treffen der französischen Art. Du hast mein volles Mitgefühl, aber etwas neidisch bin ich doch. Auch wenn man andauernd essen muss, die französische Lebensart gefällt mir irgendwie. ;-)

Liebe Grüße
Stempelperle

Maren hat gesagt…

Ich war mal Austauschschülerin für vier Wochen in Frankreich (Albertville), Anfang der 80iger Jahre. Ich erinnere mich gut an diese niemals endend wollenden Mahlzeiten.. ich war fast froh, dass ich Montags-Freitags in die Schule durfte und diese französischen Essen NUR am WE hatte. Ich Frankreich dreht sich tatsächlich alles immer ums ESSEN.... allerdings hab ich auch nie wieder in meinem Leben so gut gegessen....

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