Montag, 8. Februar 2010

Auf der anderen Seite des Lehrerpults: Scrapbooking im Schulunterricht

Als ich vor ein paar Jahrzehnten – mit hart erkämpften Abi in der Tasche und ein paar Ehrenrunden im Gepäck – die Schule verlassen konnte, heilfroh, Lehrer und Co endlich hinter mir zu lassen, schwor ich mir, nie wieder ein Schulgebäude von innen zu betreten.
Was ich damals nicht bedachte: wer drei Kinder in die Welt setzt, wird früher oder später der Sprösslinge wegen, zu einem Lehrergespräch gebeten und muss somit zwangsweise die heiligen Hallen erneut betreten.
Lehrer, auch wenn es nicht mehr meine sind, versetzen mich leider noch heute in Angst und Schrecken und vermitteln mir das unangenehme Gefühl, nie wirklich gut genug zu sein, ganz egal wie viel Mühe ich mir gebe.
Wenn mir zu jener Zeit jemand prophezeit hätte, dass ich mich irgendwann in einem Schulraum an der Stelle zwischen Tafel und Pult wiederfinden würde, dem hätte ich im Telefonbuch die Nummer für die nächstbeste Psychiatrie herausgesucht und ihm wärmsten ans Herz gelegt, sich dort bitte, zu seiner eigenen Gesundheit und der der Allgemeinheit, schnellstens anzumelden.
Nun glaube ich seit Jahren an die Philosophie, dass das woran man am meisten glaubt, im eigenen Leben irgendwann zur Realität wird. Dabei ist es völlig irrelevant, ob es etwas ist, was man sich sehnlichst wünscht oder total verabscheut. Die Tatsache, dass man sich, auf irgendeiner Ebene ständig damit beschäftigt, zieht das oder die Ereignisse regelrecht ins Leben.
So nach dem Motto: wenn man es ganz toll eilig hat und unter gar keinen Umständen zu spät kommen darf, kann man Gift darauf nehmen, im Stau zu stehen.
Ist man aber im Gegenzug felsenfest davon überzeugt, immer einen Parkplatz zu bekommen, dann kann da kommen wollen was will, man parkt immer und überall direkt vor dem gewünschten Geschäft.
Somit war es wie eine Milchmädchenrechnung: ich, die nie wieder Schulboden betreten wollte wurde Anfang letzten Jahres von Madame T., der stellvertretenden Direktorin eines Gymnasiums in Pont Audemer angerufen mit dem Angebot, in den Nachmittagskursen Scrapbooking-Kurse anzubieten.
Ich? Lehrerin? Von Jungendlichen? Mit einer Materie, die größtenteils meinen Mitmenschen ein völlig unverständliches Staunen in die Gesichtszüge zaubert.
Scrap… bitte was?
Noch nie gehört!
Was soll das denn sein?
Und nun sollte ich Kids, die die Nachmittagskurse im Gymnasium nur aus Pflicht belegen müssen, mein heißgeliebtes Hobby näherbringen?
Ich sagte trotz meiner Vorbehalte spontan zu und begegnete meinen vier Schülern Anfang September 2009 mit mindestens genauso viel Misstrauen, wie sie mir.

Nicht wirklich wissend, wie ich Scrapbooking im geregelten Schulunterricht strukturieren sollte, dokterte ich im ersten Trimester in den Schulstunden mit verschiedenen kleinen Projekten vor mich hin und erntete nicht wirklich offene Begeisterungsstürme. Hinzu kam, dass die Schüler, die von anderen Lehrern sehr gut erzogen sind, sich weder trauten mich mit Vornamen anzusprechen noch sich untereinander - und das ist beim scrappen eigentlich der halbe Spaß und unerlässlich, da man sich permanent die Materialien austauschen muss - zu unterhalten. Die Stunde war zwar immer schnell vorbei, aber ich konnte mich trotzdem eines Gefühls von Zähflüssigkeit nicht erwehren.
Ich war mir nie wirklich sicher: gefällt es den Mädels oder sind sie nur hier weil die anderen Kurse alle ausgebucht sind und sie keine andere Wahl haben?
Anfang des zweiten Zyklus hatte ich dazugelernt.
Anstatt vieler kleiner Projekte startete ich ein großes, verteilt über mehrere Stunden.
Meine kleine Runde, mittlerweile von vier auf sieben Schüler angewachsen gewöhnte sich daran, mich zu duzen, traute sich hier und da auch miteinander zu quatschen und wenn die Klingel das Stundenende einläutete, erklang ein entsetztes: "Ah non! Déjà?!"
Kurz vor den Weihnachtsferien kamen die Mädels mit einer Schachtel Pralinen an, um sich für den netten Unterricht zu bedanken. Vor lauter Rührung wusste ich gar nicht wo ich hinschauen sollte, denn noch immer fühle ich mich in meiner offiziellen Lehrerrolle denkbar unwohl.
Ganz schlimm ist es, wenn ich kurz vor Stundenbeginn die drei Stockwerke in mein Klassenzimmer – man hat mir sogar ein eigenes zugeteilt - Nummer 207 bitteschön! – hochgehen will und durch falsches Timing genau die Pausenklingel erwische. Dann ergießen sich, kannste nicht haste was, hunderte von telefonierenden und quatschenden Schülern wie ein gebrochener Hochwasserdamm die Treppen herunter, die mit der Frau, die sich, beladen wie ein Packesel, in entgegengesetzter Richtung die Treppen hochquält so gar nicht rechnen und erst kurz vor unfallträchtigem Frontalkörperkontakt von einem, nicht am Handy hängendem Mitschüler, in letzten Sekunde auf die Seite gezogen werden. Mittlerweile bleibe ich auf dem Absatz stehen und warte bis alle auf dem Schulhof sind. Das ist besser für meine Gesundheit. Und für mein Selbstwertgefühl allemal. Die nicht böse gemeinten aber verwundert neugierige Blicke im Sinn von: wer ist die denn? die mir auf der Treppe zugeworfen werden, verunsichern mich vollends.
Wohl fühle ich mich erst wieder wenn ich die Tür in meinem Klassenzimmer hinter mir ins Schloss ziehe und das immer noch verhasste Lehrerpult in die hinterste Ecke des Raumes schieben kann.
Meistens dauert es dann nicht lange und die Mädchen kommen noch in der Pause ins Zimmer gestürmt. Auf meine Frage hin, wer sich von den sieben, im nächsten Zyklus nach den Winterferien, für meine Kurse eingeschrieben hätte, heben sich alle Hände.
Es sieht ganz so aus, als sei es mir gelungen sie mit dem Scrapbookingvirus anzustecken.
Ein wunderschönes, wollig weiches Gefühl macht sich in mir breit und meine Mundwinkel ziehen sich bis hin zu den Ohrläppchen.
Wenig später geht die Tür auf und Mme T. kommt fröhlich lächelnd ins Klassenzimmer.
Sie wolle mich nur darauf hinweisen, dass ich nach den Ferien noch zusätzlich 6 Schüler in meinem Kurs begrüßen darf.
„Ihre Kurse scheinen sehr beliebt bei den Mädchen. Wie sieht es aus? Machen Sie nächstes Jahr weiter?“ fragt sie mich.
Aber Holla die Waldfee.
Klar mache ich weiter!
Jetzt fängt es doch erst richtig an Spaß zu machen.
Als ich stolz wie Bolle zuhause ankomme und meiner kleinen Tochter von meinem "Erfolg" erzähle grinst sie und sagt: "Siehste! Hast es doch wieder mal geschafft!"
Auf meinen fragenden Blick hin fügt sie hinzu: Na aus nichts einen gut bezahlten Job zu machen.

2 Kommentare:

SallyB. hat gesagt…

die Geschichte ist zu schön, und ich freue mich für Dich, dass "unser" Hobby so gut ankommt, zeigst Du auch mal ein paar Sachen der Mädels?

maedi hat gesagt…

Erfolg auf der ganzen Linie. Schön, dass Du durchgehalten hast. In welchem Alter sind denn
die Mädels? Ich wünsche Dir weiterhin viel Spaß
bei Deinem "Lehramt".

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Kommentare salzen meine Bloggersuppe ...

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