Seit ich aus dem Elsass zurück bin, ist meine Seele zweigeteilt.
Zwei Hälften in meiner Brust streiten um die Wette und auch ein Gespräch mit meiner BF, die selbst ein paar Jahre im Ausland weilte, schaffte es nicht, die Teile wieder zusammen zukleben.
Erst heute Morgen, als ich den druckfrischen Ikea Katalog aus dem Briefkasten fischte und ihn bei einer gemütlichen Tasse Kaffe durchblätterte, hat es Klick gemacht.
Zur Erinnerung: ich war für drei Tage mit meiner Tochter im Elsass, um dort ein Pferd abzuholen.
Das allein ist schon verrückt. Was aber noch viel verrückter ist, ist, dass ich mir in meinem geliebten Frankreich vor kam, als käme ich von einem anderen Stern und das obwohl ich mich noch immer innerhalb der gallischen Grenze befand.
„So wie hier die Dörfer sind, kenne ich das aus meiner Jugend“ dachte ich und fühlte mich auf merkwürdig gewohnte aber gleichzeitig völlig fremde Art zu hause.
Ich lief durch die langgezogenen, penibelst sauber gehaltenen Straßen der elsässischen Dörfer, fotografierte was das Zeug hielt und staunte Bauklötze.
Jedes Haus konkurriert an Sauberkeit und Schönheit mit dem des Nachbarn. Die Hinterhöfe sind gepflastert. Das Unkraut hat vor lauter Frust das Weite gesucht. Vor den blitzblank geputzten Fenstern ranken knallrote Geranien in voller Pracht, ähnlich wie im bajuwarischen Süden Deutschlands. Die hölzernen Garagentore sind bunt gestrichen und umgeben von Scheunen, die so aufgeräumt sind, dass man glatt darin wohnen könnte. Im Inneren findet man einen picobello geputzten Traktor, das Brennholz für den Kamin ist bis unter das Dach ordentlich aufgestapelt und nach Größe geordnet. Der Scheunenboden ist blitzeblank gefegt und würde mir hier ein Bonbon herunterfallen, würde ich es glatt wieder aufheben und in den Mund stecken.
Ordnung Pur!
Balsam auf meine deutsche Seele.
Karl Lagerfeld hat einmal von sich gesagt: „Ich bin total deutsch. Aber nur wenn ich im Ausland bin. In Deutschland komme ich mir irgendwie fremd vor“
Ich verstehe genau was er meint.
In dieser französischen Grenzregion, die in ihrer Geschichte mehrmals die Landeszugehörigkeit gewechselt hat, ist mir die deutsche Seele eigentlich so nah wie nie zuvor.
Und doch fühle ich mich verdammt unwohl.
Es hat, siehe oben, eine Weile gebraucht, bis ich begriffen habe warum.
Das mit dem Auswandern ist nämlich so eine Sache.
Man begibt sich in ein neues Land, weil man mit dem alten nicht mehr zufrieden ist.
Kaum ist man dort eingewandert, vermisst man bitterlich die Gewohnheiten der alten Heimat. Sich durch diesen Herzschmerz durch zu beißen, kann eine Weile dauern. Manche werfen schon gleich am Anfang das Handtuch und gehen wieder zurück. Die, die aber durchhalten, sagen durch die Bank weg, nie wieder zurückgehen zu wollen. Ohne dass sie es wirklich wahrnehmen verändern sie sich.
Das heißt aber nicht, dass das Vermissen je aufhört.
Noch heute nach über 25 Jahren in Frankreich vermisse ich die deutsche Ordnung, Gründlickeit und Sauberkeit. Dachte ich!
Denn hier war ich nun! Immer noch in Frankreich, umgeben von viel zu viel gestriegelt, gebügelt und glatt gekämmt. Ich bin ich allem Anschein nach, zu einer waschechten Normannin mutiert.
Die normannische Seele ist wie eine Doppelseite in einem Ikea Katalog.
Ein bisschen chaotisch, irgendwie passt eigentlich nichts wirklich zusammen und doch ist es herrlich gemütlich und kuschelig.
Die Kinder liegen auf Sofas und Sesseln herum, essen Kuchen und trinken Kakao auf dem Boden. Die Mutter ist mitten in den Vorbereitungen fürs Essen, während die Rasselbande in der Küche herum tobt. Ein junger Mann liegt mit Schuhen und Jeans im Bett und Papa füttert das Baby während die Tochter die Türe mit Kreide zu malt.
Normannischer geht es nicht!
Der Normanne ist sparsam, pragmatisch und liebt Provisorien.
Warum soll man viel Geld für eine Scheune ausgeben, wenn sie sowieso nur als Unterstand für die Kühe dient. Also her mit dem alten verrostetem Wellblechdach. Und wenn man schon dabei ist, kann man das große Loch in der Wand auch gleich damit vernageln.
Der Rasen im Garten wird gemäht, wenn die Sonne scheint. Wenn es halt tagelang regnet und ausgerechnet nur am Sonntag möglich ist, na dann mäht man eben mal am Sonntag. Der Nachbar versteht das schon! Die alten Traktorreifen sind einfach super als Blumentopfersatz und das Unkraut auf dem Kiesweg freut sich wie Bolle, weil es niemand mit Unkrautvernichtungsmittel ins Jenseits befördern will.
Besuch kommt unangekündigt und am Nachmittag steht noch das Frühstücksgeschirr auf dem Tisch? Für den Normannen kein Problem. Er schiebt die Teller und Tassen zur Seite, freut sich über den Gast und verplempert seine Zeit nicht mit ausführlichen Erklärungen, warum er es nicht geschafft hat aufzuräumen.
Alles in allem ist der Normanne ein eher gemütlicher Zeitgenosse. Freundlich, chaotisch, ein bisschen stur und traditionelle Werte sind ihm wichtig.
Fast so ein bisschen wie die Billyregale von Ikea.
Preiswert, ohne Schnickschnack, es gibt sie schon ewig und sie sind unglaublich verlässlich.
Und ich glaube....genauso bin ich mittlerweile auch.
Der Normanne bleibt im Schnee stecken und blockiert den Verkehr?
Wie er damit umgeht, steht hier.
4 Kommentare:
Dein Bericht gefällt mir.
Da ich aus Süddeutschland komme und die erste Frage meines Vater's bei einem Telefongespräch ist, ob mir um's Haus aufgrummet hond... ;-) ich jedoch sehr glücklich hier in der Normandie im Kreise meiner französischen Familie lebe, wo ein leckeres Essen wesentlich wichtiger ist als Rasenmähen...
Immer wieder nett, deinen Blog zu lesen...schon allein wegen der vielen "GENAU!!!!!!!"-Momente
herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag
Was hast Du mir aus der Seele gesprochen, Pia!!! Nach 16 Jahren USA geht es mir genauso mit den zwei Seelen die in meiner Brust pochen!
Gestern war der 9. Jahrestag des 11.Septembers und wie an diesem schrecklichen Tag, ein Dienstag, war der Himmel blau und das Meer roch so frisch. Ganz gleich wo wir wohnen, Mutter Erde laesst uns da zuhause fuehlen wo wir geliebt werden...
Uebrigens bin ich nicht ein "visitor from Saugus, da ist wohl der server, sondern von Nahant.
Love your blog, will keep checking in!
A bientot!
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Kommentare salzen meine Bloggersuppe ...