Montag, 14. Juni 2010

Hotelgeschichten

Das Hotel hat mich wieder. 
Eigentlich wollte ich mich nur noch auf meine Scrapbookingkurse konzentrieren und den Stress und das Durcheinander rund ums Hotelgewerbe weit hinter mir lassen.
Im September letzten Jahres hatte die Differenz zwischen meiner, ich gebe es ja zu, manchmal rigiden deutschen Gründlichkeit versus dem libanesisch-französisch-liberalen Chaos-Management ihren absoluten Höhepunkt erreicht, und bevor ich mir die Haare einzeln aus meinem Schopf reißen würde und ich gänzlich an dem Oben-Hui-unten-Pfui-Konzept verzweifeln würde, zog ich freundschaftlich, aber bestimmt, die Konsequenz und beendete die Saison früher als geplant.
Zwei Jahre arbeitete ich als Direktionsassistentin in einem Schlosshotel in Pont Audemer.
Aber mal ganz ehrlich: diese hochtrabende Berufsbezeichnung ist auch nichts anderes als eine blumige Umschreibung  für „Mädchen für alles“.
So ähnlich wie eine Putzfrau heute nicht mehr schnöde putzt, sondern den Raum pflegt oder ein Gärtner nicht mehr Unkraut im Garten jätet, sondern die Landschaft pflegt.
Ich habe viel gelernt in den letzten zwei Jahren und ich werde wohl nie wieder ein Hotel, Restaurant oder Café betreten, ohne mich zu fragen, welches Durcheinander sich gerade im verborgenen Teil des jeweiligen Etablissements abspielt. Sollte mir eine Kellnerin mit leicht gehetzten Gesichtsausdruck und zitternder Hand eine Cola servieren, dann wird sie von mir, bis an mein Lebensende, ein freundliches, verständnisvolles  Lächeln bekommen. Denn entweder fängt sie in diesem schwierigen Metier gerade erst an, oder der Chefkoch ist in den Untiefen des Restaurant dabei, aus einer Fliege einen Elefanten zu machen.
Das Gehirn ist ein Muskel, der, wenn er regelmäßig trainiert wird, das Gedächtnis zu Höchstleistungen anpeitschen kann. Nichtsdestotrotz braucht es wohl jahrzehntelange Übung, um sich verschiedene Bestellungen für mehrere Tische merken zu können oder sich als Mitarbeiter der Rezeption für knapp 24 Stunden einzuprägen, welcher Gast, mit welchem Namen, in welchem Zimmer wohnt.

Vielen unterschiedlichen Menschen begegnet man in einem Hotel.
Jeder ist auf seine Weise unvergesslich:
Da gibt es zum einen den typisch kleinen Franzosen, mit krokodilledernen Mokassins an den Füßen, verspiegelter Sonnenbrille auf den dunklen, drahtigen Haaren und Bling Bling Uhr am Handgelenk, die nur darauf wartet, mit einem arroganten Schnicken der Finger in Szene gesetzt zu werden. Der mit forschem Schritt in Richtung Rezeption stürmt und das beste Zimmer des Hauses verlangt, sich nach der Inspektion dann aber doch "überraschenderweise" für das günstigste unter dem Dach entscheidet. Dessen weibliche Begleitung, eine Vision in Blond und Rosa auf hochhackigen Schuhen nervös hinter ihm her tänzelt und ganz offensichtlich unangenehm berührt ist, von dem arroganten Gehabe ihres Göttergatten.
Dann gibt es die junggebliebene, attraktive Mitvierzigerin, die von einem so umwerfend gut aussehenden Mann begleitet wird, dass die Rezptionistin wie die Maus vor der Schlange erstarrt und nur durch ein vom Maître D‘ geflüstertes: „Entspanne Dich! Das ist ein Callboy!“ wieder aus ihrer Versteinerung herausfindet.
Man begegnet dem reizenden, amerikanischen Ehepaar fortgeschrittenes Alters, das an der französischen Straßenverkehrsregelung verzweifelt und unglaublich dankbar ist, dass ihm jemand in seiner Muttersprache die fiesen, kleinen Tücken der gallischen Umleitungsstrategie erklären kann.
Die verschüchterten Großeltern, die von ihren Kindern, Enkeln und Ur-Enkeln zum 50. Hochzeitstag einen Wochenendaufenthalt im 4 Sterne Hotel geschenkt bekommen haben und die sich von dem antiken Luxus regelrecht erschlagen fühlen und wohl am liebsten postwendend auf ihren vertrauten Bauernhof zurückkehren würden.
Oder aber die lärmende Gruppe gut gelaunten Engländer,die die Hoteltreppe hoch gejoggt kommt, und wie jedes Jahr, auf ihrem Weg zu dem berühmten Autorennen in Le Mans, einen gepflegten, von vielen Flaschen belgischen Biers begleiteten Zwischenstopp einlegt.  „Man gönnt sich ja sonst nichts“ zwinkert der Anführer der Gruppe der Hotelangestellten zu und verspricht ihr, die mitgebrachten heiß geliebten Oldtimer nach dem Einchecken ordentlich auf dem Parkplatz abzustellen.

All das hat mir gefehlt.
So sehr, dass es nicht viel Überredungskunst seitens meiner Chefin brauchte, um mich wieder an Bord zu holen.
Allerdings, da blieb ich hart, nur am Wochenende.
Das ist  der geschäftigste Moment im Hotelgewerbe und mir wird keine Zeit bleiben, mir über das kreative Chaos im Hintergrund auch nur ansatzweise Gedanken zu machen.

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